Michael Labinsky
Mutter Vater Kind Bindungen
Identifizierung   Delegation


 das Unbewußte als Handlung
Das Unbewusste im Bild - ein Theater?




" ..einige allgemeine Bemerkungen zum Konzept der Identifizierung. Es ist für uns ganz selbstverständlich, dass Eltern Vorstellungen haben, die sie an ihr Kind weitergeben, und darauf achten, dass es sie übernimmt und sich danach verhält. Zu nennen sind hier kognitive und affektive Imagines über Familienmitglieder, Wertvorstellungen, Erziehungsprinzipien und Weltbilder. Vieles davon wird bewusst vermittelt, vieles aber auch auf unbewusstem Wege, wie zum Beispiel Vorstellungen über ihr Kind, die den Eltern selbst unbewusst sind und häufig aus ihrer eigenen Sozialisationsgeschichte herstammen. Das Kind, das an seine Eltern gebunden ist, übernimmt und verinnerlicht diese Vorstellungen, weil es gerne so sein möchte, wie die Eltern, oder so, wie diese sich ihr Kind wünschen. Wir sprechen hier von Identifizierung. Sie ist einer der zentralen Mechanismen, der die Generationen miteinander verknüpft. Im Prozess der Identifizierung modifiziert das Subjekt auf bewusstem oder unbewusstem Wege seine Motive und Verhaltensmuster ebenso wie seine Selbstrepräsentanzen und erlebt sie als ähnlich oder gleich mit denen des Objektes. Dadurch werden die Bindungen an das Objekt gefestigt. Mit diesem klassischen Identifizierungskonzept können sehr viele normale transgenerationelle Sachverhalte erfasst werden. Zu betonen ist hier, dass der Vorgang der Identifizierung eine aktive Handlung des Subjektes ist, das sich auf diesem Wege dem geliebten Objekt oder dem Objekt, von dem es abhängig ist, anverwandelt.
Nun ist in den letzten Jahrzehnten vor allem durch das Studium früher Entwicklungsprozesse in der Psychoanalyse der Begriff der projektiven Identifizierung eingeführt worden, der sich zum Verständnis schwerer seelischer Pathologien als fruchtbar erwiesen hat und der auch für die Phänomene, die wir hier untersuchen, von Bedeutung ist. Man bezeichnet damit einen Fantasievorgang, bei dem unerwünschte oder unerträgliche Vorstellungen aus dem eigenen Selbstbild ausgestoßen und in das Objekt als Gegenüber hineinverlagert werden, das damit identifiziert wird. Der unerwünschte Teil wird dann im anderen beobachtet und kontrolliert. Das Subjekt fühlt sich dadurch erleichtert, ist aber auch um diesen Selbstanteil verarmt. Das Objekt dieses Vorganges kann diesen ihm fremden Teil nicht assimilieren und erlebt ihn wie einen Fremdkörper. Dieser ausstoßende und zugleich intrusive Vorgang ist in unterschiedlichem Ausmaß von Aggression und Gewalt geprägt. Vor dem Hintergrund dieser Identifizierungskonzepte möchte ich nun die transgenerationellen Prozesse bei der Bewältigung der Folgen von kollektiven Katastrophen in einigen Punkten beschreiben.
1. Die Identifizierung findet nicht mit der Person oder den Eigenschaften von Vater oder Mutter alleine statt, sondern auch mit deren Lebensgeschichte, insbesondere dem Teil, der vor der Lebenszeit der Kinder liegt. Aufgrund der psychoanalytischen Untersuchung ... spricht Judith Kestenberg von „Transposition“ (1989), einer unbewussten identifikatorischen Teilhabe an der vergangenen traumatischen Lebenszeit der Eltern. Faimberg (1986) kennzeichnet diesen Identifizierungstypus als „télescopage“ (Telescoping), als ein Ineinanderrücken von drei Generationen.
2. Wie Ilany Kogan (1995) in ihren Fallgeschichten zeigt, sind es oft totale Identifizierungen mit dem Elternteil, die das Kind vornimmt, die ihm aber auch von Seiten der Eltern aufgezwungen werden, wenn sie das Kind zur Regulierung ihres prekären narzisstischen Gleichgewichts benötigen.
Volkan et al. (2002) sprechen hier von einer „deponierten Repräsentanz“, die vom Elternteil in die Selbstrepräsentanz des Kindes ausgestoßen wird, dessen inneres Repräsentanzensystem damit zu einem Reservoir für die unerwünschten Anteile von Vater oder Mutter wird.
Indem die Geschichte eines anderen in das Kind hinein projiziert wird und es sich damit identifiziert, erlebt es in einem Teil seines Selbst ein Gefühl der Entfremdung. Diese Identifizierungen können nicht ins Selbst assimiliert werden, sondern bilden einen Fremdkörper. Abraham und Torok sprechen von „endokryptischer Identifizierung“ (1979).
3. Es handelt sich um eine unbewusste Identifizierung, die aber nicht einer Verdrängungsleistung entstammt, sondern durch direkte Einfühlung in den unbewussten, verschwiegenen oder totgesagten Inhalt eines elterlichen Objekts entstanden ist. Man kann es als Geheimnis oder als „Phantom“ (Abraham 1991) bezeichnen, das sich im dynamischen Unbewussten des Kindes eingenistet hat. Eigene Gefühle und eigenes Verhalten, die dynamisch damit zusammenhängen, entpuppen sich als entlehnt und gehören eigentlich der Geschichte der Eltern an.
4. Diese Art von narzisstischen Identifizierungen ist auch durch eine Nichtanerkennung der Generationsgrenzen gekennzeichnet. Das Verschwimmen der Grenzen zwischen den Generationen ist auch der Grund dafür, dass das Zeiterleben der Kinder gestört wird. Indem diese Kinder in zwei Wirklichkeiten leben, ist die Vergangenheit mit der Gegenwart vermischt. Die Folge ist eine partielle Identitätsverwirrung oder ein Gefühl einer fragmentierten Identität. Angehörigen dieser zweiten Generation mangelt oft das Gespür für die eigene Lebenszeit.


   Auszug aus Psychoanalyse 1/2011. F-W Eickhoff: Primäre Identifikation



Delegation
"In der Familienpsychologie sprechen wir von Delegationen, wenn Kinder ihr Leben darauf ausrichten, die unerfüllten Wünsche, Hoffnungen und Sehnsüchte ihrer Eltern zu verwirklichen und dabei ihr eigenes Leben vernachlässigen.
Delegation bedeutet vereinfacht, ein Kind mit einem Auftrag in die Welt zu senden.Dann versucht das Kind, die Sehnsüchte der Eltern zu verwirklichen, kann sich deshalb nicht wirlich ablösen und selbständig werden, und bleibt damit an die Eltern loyal gebunden. [...] Kinder nehmen schon in sehr frühem Alter solche intensiven Gefühle der Eltern wahr und stellen ihr eigenes Verhalten darauf ein. Es sind Gefühle ohne Worte, die solche bedeutungsvollen Botschaften in Eltern-Kind-Beziehungen transportieren. Daran erkennt das Kind, was wichtig und unwichtig, faszinierend und langweilig, erstebenswert und wertlos ist.
Das Kind erfühlt die elterlichen Sehnsüchte und integriert sie mit hoher Priorität in das eigene Lebenskonzept.

 
  Auszug aus: Sehnsucht, das unstillbare Gefühl, W.R. Hantel-Quitmann, Klett-Cotta 2011





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